Das war der Landesparteitag in Ulm

Veröffentlicht am 17.10.2010 in Landespolitik

Nils Schmid ist gestern mit 92 Prozent der Stimmen zum Spitzenkandidat der SPD Baden-Württemberg zur Landtagswahl 2011 gewählt worden. Die Delegierten haben zudem die “Ulmer Erklärung” verabschiedet und die umgehende Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zum eskalierten Polizeieinsatz im Stuttgarter Schlossgarten gefordert.

Ulmer Erklärung

Wir stehen für ein soziales und modernes Baden-Württemberg und werden einen neuen Politikstil im Land prägen.

Das Vertrauen vieler Bürgerinnen und Bürger in die Politik ist gestört. Zu lange und zu oft haben die Menschen in Baden-Württemberg erlebt, dass die Landesregierung wichtige Entscheidungen über ihre Köpfe hinweg fällt. Dabei braucht die Politik heute mehr denn je das Vertrauen der Menschen. Ob bei Bildung, Wirtschaft, der Erzeugung von Energie, unserer Gesundheitsversorgung, der Verkehrsinfrastruktur oder der inneren Sicherheit. Wir brauchen einen neuen Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern, die Bereitschaft, neue Wege zu gehen. Überzeugungen, die andere überzeugen und nicht überwältigen, mutige Entscheidungen, die andere ermutigen und nicht erschrecken – dies ist unsere Politik.

Die CDU hat über Jahrzehnte hinweg Baden-Württemberg regiert, ohne die Menschen ausreichend an den Entscheidungen teilhaben zu lassen. Die Folgen sehen wir heute:
Die schwarz-gelbe Landesregierung wird von den Menschen mehr ertragen denn getragen.

Unser Spitzenkandidat Nils Schmid und unsere Kandidatinnen und Kandidaten arbeiten für eine neue politische Kultur im Land. Denn unser Land und seine Menschen sind längst viel weiter, als die heutige Regierung denkt. Wir stehen für eine Politik, die zuhört, statt nur zu bestimmen. Für eine Politik, die Antworten gibt, statt Phrasen zu produzieren. Eine Politik, die die Bürgerinnen und Bürger umfassend einbezieht und in wichtigen Fragen selbst entscheiden lässt.

Das modernste Land braucht die modernste Demokratie

Wir wollen mehr Demokratie. Die Menschen in Baden-Württemberg sind – quer durch alle politischen Lager – für mehr direkte Demokratie. Sie wollen sich unmittelbar und konkret politisch äußern und betätigen. Sie teilen die Forderung der SPD nach mehr direkter Mitsprache bei strittigen Themen und politischen Entscheidungen. Doch in Baden-Württemberg sind die rechtlichen und bürokratischen Anforderungen zu hoch.

Das werden wir ändern.

Wir werden die Hürden für Volksbegehren und Volksabstimmungen senken. Die heutigen Regelungen ersticken jedes Engagement und jede Lust auf politisches Mitgestalten . Wir treten dafür ein, dass Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksabstimmungen in Zukunft ganz selbstverständlich zur demokratischen Kultur in Baden-Württemberg gehören.

Die Bürgerinnen und Bürger sollen in den entscheidenden Phasen an der Planung von Großprojekten teilhaben. Wir wollen, dass Baden-Württemberg zum Vorreiter bürgernaher Planung und neuer Beteiligungswege wird.
Stuttgart 21 spaltet unser Land. Wir wollen diese Spaltung überwinden. Bis zu einer verbindlichen landesweiten Volksabstimmung über Stuttgart 2?1? fordern wir einen sofortigen Bau- und Vergabestopp. Verweigert sich Schwarz-Gelb diesem Weg der Vernunft und Versöhnung, werden wir nach der Landtagswahl 2011 die Bürgerinnen und Bürger Baden-Württembergs über die Fortführung oder den Ausstieg aus Stuttgart 21 entscheiden lassen.

Wir haben seit Jahren eine – intensiv diskutierte - Beschlusslage für Stuttgart 2010 und die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm. In unserer Partei gibt es unterschiedliche Meinungen zu diesem Thema – als Volkspartei spiegeln wir die Gesellschaft wider und respektieren dies. Gerade deshalb kommt uns die Aufgabe zu, Brücken zu bauen. Denn kein Bauvorhaben, kein Infrastrukturprojekt ist es wert, dass unsere Gesellschaft ihren inneren Zusammenhalt verliert.
Damit dies gelingt, müssen alle Argumente für und wider, sowie die Kosten offen gelegt werden. Die Deutsche Bahn ist in der Pflicht, für Transparenz und Klarheit zu sorgen.

Für uns ist klar: Das Votum der Bürgerinnen und Bürger ist bindend. Wir als Partei, aber auch Gegner und Befürworter im ganzen Land werden dies respektieren.

Wie geht gute Schule?

Wir wollen gute Bildung für alle. Aufstieg durch Bildung muss für jeden möglich sein, denn über die Chancen eines Kindes darf nicht der Geldbeutel der Eltern entscheiden.
Als erste Maßnahme werden wir die Studiengebühren im Land abschaffen.
Kein Kind darf benachteiligt werden. Deswegen werden wir die Kommunen bei der Umsetzung des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz ab dem ersten Lebensjahr unterstützen. Wir werden Schritt für Schritt die beitragsfreien Kindergärten einführen.
Darüber hinaus brauchen wir in Baden-Württemberg ein neues, besseres Schulsystem, in dem immer wieder neu die Kernfrage gestellt wird, was getan werden muss, um Kinder besser und individuell zu fördern.

Ein System, das Kinder im Alter von zehn Jahren aussortiert, ist mit unseren Vorstellungen nicht vereinbar. Unser Ziel in Baden-Württemberg ist deshalb die zehnjährige gemeinsame Schule für alle. Doch die Entscheidung soll den Eltern mit ihren Kindern überlassen werden. Dasselbe gilt für eine Entscheidung zwischen G8 und G9.

Wir wollen Schule weiterentwickeln, aber „im Dorf lassen“. Das bedeutet konkret:
Kommunen können dann innovative Schulkonzepte umsetzen, die in ihren Ort passen.
Damit garantieren wir auch den Erhalt der weiterführenden Schulen in Gemeinden ab 5.000 Einwohnern.

Gut ausgestattete und flächendeckend angebotene Ganztagesschulen sind die besten Bedingungen für ein längeres gemeinsames Lernen.

Gemeinsamkeit in Vielfalt

Ein Viertel der Baden-Württembergerinnen und Baden-Württemberger haben einen Migrationshintergrund. Sie bereichern unser Land. Fremdenfeindlichkeit zerstört diese Vielfalt. Verstehen wir gemeinsam die Vielfalt als Chance und nutzen wir sie. Mit Sprachförderung bei Kindern und Eltern wollen wir Integration erleichtern.
Voraussetzung hierfür ist, dass jedes Kind den Kindergarten besucht.
Wir brauchen in unserer öffentlichen Verwaltung mehr Menschen mit
Migrationshintergrund. Hierfür setzen wir uns verstärkt ein.

Gleichstellung verwirklichen

Obwohl Frauen die Hälfte unserer Gesellschaft sind, sind sie in Wirtschaft,
Wissenschaft, Verwaltung und Politik deutlich benachteiligt. Deshalb wollen wir Frauen ermutigen, in diesen Bereichen Verantwortung zu übernehmen und unterstützen dies.
Wir fordern mehr Gleichstellung für Frauen in Baden-Württemberg,
Chancengerechtigkeit und gleichberechtigte Teilhabe. Das bedeutet bessere Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie die Beseitigung von Lohnungerechtigkeit.

Arbeitsplätze sichern, Wirtschaft stärken

Für uns steht fest: Wer Vollzeit arbeitet, muss davon auch leben können. Wir setzen uns daher für die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns ein.
Wir wollen Baden-Württemberg zum Musterland „Guter Arbeit“ machen. Dazu gehören anständige Löhne und ein fairer Interessenausgleich zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Eine Wirtschaft, von der alle profitieren, macht unser Land stärker und moderner. Mitbestimmung ist gerade nach den Erfahrungen der Wirtschafts- und Finanzkrise wichtiger denn je. Darum wollen wir die Mitbestimmung ausbauen und werden die Verschlechterungen der schwarz-gelben Landesregierung im
Landespersonalvertretungsgesetz zurücknehmen.

Öffentliche Auftragsvergabe darf nicht an Unternehmen gehen, die Lohndumping betreiben sowie Arbeitnehmerrechte missachten.

Wir wollen, dass Leih- und Zeitarbeit in reguläre Beschäftigung führt. Immer öfter wird die Zeitarbeit missbraucht, um Löhne zu drücken, die Belegschaften zu spalten und Tarifverträge zu umgehen. Das akzeptieren wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nicht. Für uns gilt der Grundsatz: Gleicher Lohn und gleiche Rechte für gleiche Arbeit. Dabei muss das Land als Arbeitgeber Vorreiter sein und
beispielsweise auf sachgrundlose Befristungen verzichten.

Wir nehmen Aufstieg durch Bildung ernst. Deshalb wollen wir eine
Ausbildungsgarantie im ganzen Land einführen und allen An- und Ungelernten einen Anspruch auf Weiterbildung und Anerkennung ihrer Qualifikationen sichern.
Neue Energie: Sonne, Wind und Wasser!

Atomenergie und fossile Energieträger haben keine Zukunft. Kernenergie ist nicht sicher und noch immer weiß niemand, wohin mit dem Atommüll. Fossile Kraftstoffe wie Öl, Kohle und Gas schädigen das Klima. Wir stehen daher für eine Wende hin zu erneuerbarer Energieträgern und wollen ihre Potenziale nutzen.
Auch hier wollen wir mehr Demokratie. Wir streben an, dass die Energie dezentral in Bürgerhand statt zentral in der Hand der Atomkonzerne liegt. Jedes Solarmodul auf dem Dach des Eigenheims, jede Biogasanlage und jedes Windrad des Bürgerunternehmens wird so zur gelebten Volkssouveränität in der Energiepolitik.
Damit schützen wir das Klima und fördern Beschäftigung in Handwerk und
Mittelstand. Gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern wollen wir die Blockade der regenerativen Energien in Baden-Württemberg durchbrechen. Wir werden im Rahmen einer Ausbaustrategie „Erneuerbare Energien 2020“ die vielfältigen bürokratischen Hürden und Verhinderungsplanungen aufbrechen.

Füreinander da sein

Bestmögliche medizinische Versorgung ist für alle da. Die schwarz-gelbe
Gesundheitspolitik schafft die Solidarität ab und macht den Zugang zu
Gesundheitsversorgung abhängig vom Geldbeutel. Somit stehen auch Kopfpauschale, Vorkasse und Zuzahlungen bei der Landtagswahl zur Abwahl an.

Wir wollen leistungsfähige öffentliche Krankenhäuser in Stadt und Land erhalten. Die Kosten dieser wohnortnahen Versorgung sind hoch, aber sie sind es uns wert. Eine Privatisierung von Krankenhäusern lehnen wir ab, stattdessen setzen wir uns für eine regionalisierte Gesundheitsplanung ein, die Kommunen und Kostenträger einbezieht.
Pflegebedürftige und ihre Angehörige brauchen Beratung und Unterstützung. Wir wollen die Pflege-Infrastruktur ausbauen und damit individuellen Bedürfnissen Rechnung tragen.

Sicherheit beginnt vor Ort

Der Abbau von Polizeiposten in Baden-Württemberg muss gestoppt werden. Nur wenn sich die Bürgerinnen und Bürger ohne Angst vor Gewalt und Kriminalität bewegen können, fühlen sie sich sicher. Die Annahme, dass härtere Gesetze eine höhere Sicherheit bedeuten, ist falsch. Vielmehr: Es mangelt an Personal. Wir werden die Personalsituation verbessern, denn Sicherheit nach Kassenlage darf es nicht geben.
Wir wollen Vergehen und Verbrechen verhindern, indem wir die kommunale
Kriminalprävention stärken und ausbauen. Dies bedeutet, dass wir die Polizeipräsenz in der Fläche verbessern, indem wir eine Streife pro Revier mehr einsetzen.

Verantwortung und Ehrlichkeit

Wir werden nichts versprechen, was wir nicht halten können.
Wir werden den Landeshaushalt konsolidieren. Das ist ein Gebot der Solidarität gegenüber unseren Kindern. Doch dieses Ziel kann nur mit den Menschen gelingen und nicht gegen sie. Die Grundvoraussetzung dafür ist Ehrlichkeit.
Wir werden für mehr Steuergerechtigkeit sorgen. Dafür braucht unser Land mehr Personal insbesondere bei den Betriebsprüfern und bei der Finanzkontrolle. Noch mehr braucht es aber eine Regierung, die auch den politischen Willen hat, Steuersünder zu bestrafen, damit der ehrliche Bürger am Ende nicht der Dumme ist.
Wir werden die kommunalen Finanzen sichern. Die Abschaffung der Gewerbesteuer lehnen wir ab. Stattdessen wollen wir sie zu einer kommunalen Wirtschaftssteuerunter Einbeziehung der Freiberufler ausbauen.

Beschlossen auf dem SPD-Landesparteitag am 16. Oktober 2010 in Ulm

 
 
 

 

Wir auf Instagram