Haushalt 2009 der Stadt Böblingen

Veröffentlicht am 20.12.2008 in Gemeinderatsfraktion

Haushaltsrede von Herbert Protze, SPD-Fraktion am 17.12.2008

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, Herr Brand, Frau Kraayvanger, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren:

In diesen Tagen erinnere ich mich öfters an meine Studienzeit, das Studium der Wirtschaftswissenschaften und insbesondere an die Auseinandersetzung zwischen den Anhängern von Keynes und den Neoliberalen um Friedman. Insbesondere die Frage, wie in Zeiten wirtschaftlichen Abschwungs auf Seiten der Öffentlichen Hand reagiert werden soll. Nichts tun und auf die Selbstheilungskräfte der Märkte setzen, wie es Friedman empfiehlt, oder durch antizyklisches Investieren und sogenanntes „Defizit-Spending“ Impulse setzen und durch bewusstes in Kauf nehmen von zusätzlicher Verschuldung die Wirtschaft durch Ausgaben der Öffentlichen Hand anzukurbeln.

Es liegt eigentlich auf der Hand. Und selbst Wolfgang Schäuble, der ja nicht als Linker einzustufen ist, empfiehlt, mal wieder öfters bei Keynes nachzuschlagen!
Es sind die undurchschaubaren, freien Märkte, der ungebremste Turbokapitalismus, die unsägliche Geldgier nicht zufrieden zu stellender Topmanager, der ständige Ruf nach immer weniger Staat bei immer mehr Freiheit der Individuen. Tolle Anlageprodukte mit unrealistischen Renditen und finanziellen Verflechtungen, die kein Mensch mehr blickt. „Was habt ihr uns da eingebrockt, das wir, die wir doch gar nichts dafür können, nun auslöffeln müssen.“

Tarnen, täuschen, tricksen und wenn es dann offenbar wird, hilft die gute alte Salamitaktik. Scheibchenweise nur all das zugeben, was eh alle schon wissen, beschwichtigen auch wenn man selbst schon viel mehr weiß.

Wie sagt der Stuttgarter OB Schuster gestern im Interview: „Ich habe keinen Grund, Dr. Jaschinsky zu kritisieren.“ Witzle g´macht? Oder wie war das noch mit dem Steinewerfen, wenn man selbst im Glashaus sitzt?

Selten waren die Prognosen so schlecht, die Aussichten so düster.
Wenn Herr Ministerpräsident Oettinger diese Tage sagt, dass er schon wieder Licht am Ende des langen schwarzen Tunnels sehe, dann muss er aufpassen, dass dies nicht das Licht eines entgegen kommenden ICEs ist.

Meines Erachtens stehen wir zwar mitten in der Finanzkrise, aber erst am Anfang einer tiefgehenden Wirtschaftskrise: weg brechende Auftragseingänge, Rückgang von Investitionen und Bautätigkeit, Nachfragerückgang, Kurzarbeit, zunehmende Arbeitslosigkeit.

Teilen wir im Gemeinderat und in der Stadtverwaltung Böblingen diese Einschätzung, oder machen wir auf Hoffnung, dass alles nicht so schlimm wird?
Sicherlich ist es schwierig abzuwägen, ob es nicht besser wäre, in Optimismus zu machen, als pessimistisch die Unsicherheit bei vielen Menschen noch zu verstärken. Ich bin jedoch der festen Überzeugung, dass eine realistische Einschätzung dessen, was da auf uns zukommt, notwendig ist, um die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Wenn wir unsere kommunalen Haupteinnahmequellen anschauen, so sind dies die Gewerbesteuer und der Anteil an der Einkommensteuer. Während die operativen Firmenergebnisse noch relativ stabil sind, werden die Bewertungsergebnisse fatal ausfallen. Der Rückgang der Einkommenssteuer folgt zwar zeitversetzt aber wahrscheinlich nicht minder heftig. Ebenso sind steigende Sozialausgaben - auch über den Kreishaushalt - zu erwarten.

Nein, ich will jetzt nicht auf die Ausgabenbremse treten und durch falsches Sparen den Abwärtstrend verschärfen, denn ich bin überzeugter Keynes´ianer.
Ich denke jedoch, dass wir ganz genau hinschauen sollten, für was wir unser Geld ausgeben. Gerade in dieser Zeit müssen wir darauf achten, dass wir die Steuergelder vorwiegend in investive Maßnahmen stecken und nicht mit der Gieskanne verläppern ohne bestimmte Effekte zu erzielen.

Ich will ein paar Beispiele nennen:
Am Besten angelegt sind m. E. die Gelder, die in die Infrastruktur fließen und Folgeinvestitionen nach sich ziehen. Voran ist das Flugfeld zu nennen. Diese Ausgaben und diese Schulden sind rentierlich, denn sie ziehen Investitionen anderer nach sich und sichern Arbeitsplätze. Im Folgenden werden Steuereinnahmen generiert, die die getätigten Ausgaben zurückführen. Dass man hier auch mal ins Obligo gehen muss um einen „Leuchtturm“ zu errichten, zeigt das lobenswerte Beispiel Forum 1.

Die Verlegung des Busbahnhofs war folglich auch eine wegweisende Entscheidung, bringt sie doch zusätzlich zur optischen Verbesserung die Chance für Investoren auf dem alten Gelände.
Ausgaben in Stadtentwicklung, Straßen und öffentliche Einrichtungen sind auch sinnvoll. Hier müssen wir allerdings darauf achten, dass wir nicht zu hohe Folgekosten auslösen, die dann die nachfolgenden Generationen wieder belasten.
Und wenn wir in Baumassnahmen investieren, können wir gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen, indem wir sie mit Klimazielen kombinieren. So können z.B. ein verbesserter baulicher Energiestandard oder städtische Investitionen in Solar- bzw. Photovoltaikanlagen helfen, den CO2-Ausstoß zu vermindern.

Investitionen können auch die Lebensqualität verbessern. Wenn z.B. nach der Erstellung und Umsetzung eines Gesamtverkehrsplans, wie von der SPD immer wieder gefordert, endlich Maßnahmen erfolgen. Zu tun gibt es genug: beim Rückbau der alten B464 wurde nur halbherzig vorgegangen, die 3-monatige Schließung der Schönaicher Strasse hätte zum Rückbau und zur Entschleunigung genutzt werden müssen und auch die Herrenberger Strasse wartet auf Maßnahmen.

Für weniger geeignet halte ich in heutiger Zeit bloße Immobilienkäufe mit dem Ziel der Vorratshaltung. Es gibt ja so viele Schlüsselgrundstücke, die nur darauf warten von der Stadt zu überhöhten Preisen aufgekauft zu werden. Wenig sachdienlich indes sind öffentlich aus dem Gemeinderat ausgesprochene Aufträge, bestimmte Objekte zu erwerben. Das wirkt sicherlich nicht preissenkend. Dabei ist das Gebaren der Eigentümer oft nicht unbedingt der Gemeinschaft dienlich: nur schön vergammeln lassen, dann wird die Stadt schon kommen. Wir müssen ja nicht gleich einen Pranger aufstellen, aber wie wäre es mit einem Fingerzeig auf das Grundgesetz; Artikel 14/2: „Eigentum verpflichtet“ – das gilt auch für den Böblinger Geldadel!

Investieren kann man auch sehr gut in Personal, nämlich in gute Bezahlung und gute Ausbildung. Das Thema Mindestlöhne und Sozialcharta bei der Vergabe öffentlicher Aufträge werden wir von der SPD nächstes Jahr nochmals thematisieren – auch wenn es den ein oder anderen nerven mag.

Unterstützung nicht nur finanzieller Art braucht das Stadtmarketing. Hier müssen klare Strukturen und eine sauber definierte Aufgabenbeschreibung und –verteilung her, dann können auch die notwendigen Gelder fließen.

Gut angelegt sind auch die Gelder, die wir in unsere Kinder und unsere Jugend investieren. Bildung, Ausbildung und Ganztagesbereuung sind Themen, die die SPD schon viele Jahre vorantreibt. Wie wichtig sie sind, zeigt der bunte Strauß von Anträgen, die von allen Fraktionen hierzu vorliegen.
In unserem Antrag zum Haushalt 2009 schlagen wir vor, verstärkt alternative Betreuungsformen wie z. B betriebsnahe bzw. arbeitsplatznahe Kindergärten umzusetzen.

Überhaupt nicht einverstanden sind wir mit den vorgeschlagenen neuen Benutzungsgebühren der städtischen Kindertagseinrichtungen.
Wir sind für den Ausbau der Ganztagesbetreuung, für die Schaffung weiterer U3 Plätze und fordern perspektivisch die Gebührenfreiheit im Regelkindergarten, beginnend mit dem letzten Kindergartenjahr. Wir setzen uns ein für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. All das muss sinnvoll finanzierbar sein und in ein mit Bund und Ländern abgestimmtes Gesamtkonzept passen. Die vorgeschlagene neue Gebührenstruktur ist äußerst unsozial und bevorteilt massiv Familien mit höherem Einkommen:
Auf den ersten Blick sieht es so aus, dass alle das Gleiche bezahlen, das stimmt aber nicht. Zunächst ist festzustellen, dass im neuen Modell Familien umso mehr entlastet werden, je mehr sie verdienen. Bei der Ganztagebetreuung werden Gutverdiener - bisher in Stufe 1 - bei 2 Kindern um 57 % entlastet. Geringverdiener -bisher in Stufe 9 – müssten künftig sogar 8,7 % mehr bezahlen.
Dann zahlen beide angeblich gleich viel: im Beispiel monatlich 262€ für 2 Kinder bei 9 Stunden Ganztagesbetreuung incl. Essen. Gleich viel? – von wegen. Jetzt kommt nämlich die steuerliche Komponente hinzu: 2/3 der Kinderbetreuungskosten dürfen bis zu einem jährlichen Höchstbetrag von 4000 Euro von der Steuer abgesetzt werden. Im vorangehenden Beispiel reduziert sich die Kindergartengebühr unter dem Strich beim Gutverdiener von 262 auf 183. Er zahlt somit 30% weniger als der Geringverdiener. Was soll da bitteschön sozial ausgewogen sein?
Wahrscheinlich müssen wir auch den Begriff sozial mal neu definieren. Wir denken dabei immer nur an Sozialhilfe- bzw. Harz IV-Empfänger. Gerne werden auch die Grenzen des Böblinger Familienpasses herangezogen. Aber was ist mit denen, die da knapp darüberliegen. Sie müssen heutzutage alle Lasten tragen und es wird von überall her immer mehr draufgepackt.
Sie zahlen die Zeche für alle anderen - im genannten Beispiel auch die der Bezieher hoher Einkommen.
Wir könnten dieses verschenkte Geld in eine gerechtere Struktur investieren, oder in bessere Standards oder im Paul Gerhardt Weg das Haus der Jugend für die Jugend erwerben.

Herr Oberbürgermeister, meine sehr geehrten Damen und Herren:
Ich habe in meiner diesjährigen Haushaltsrede nur wenige Themen abgehandelt. So eine Rede soll ja auch kein Rundumschlag sein. Es gäbe noch viele kleine und größere - wichtigere und unwichtigere Themen, zu denen es etwas zu sagen gäbe. Ich will mich jedoch gerne selbst beschränken und damit den angesprochen Themen Nachdruck verleihen.
Die SPD-Fraktion hat auch in diesem Jahr bewusst auf kleinteilig anmutende Anträge verzichtet. Im Sinne und in Fortführung des Böblinger Leitbildprozesses, von Böblingen 2020 und der Bürgerstadt Böblingen, wollen wir gemäß unserem Antrag künftig Jahresschwerpunkte setzen um von dieser Kleinteiligkeit noch mehr wegzukommen. Gemeinsam mit ihnen und den Bürgerinnen und Bürgern Böblingens wollen wir Schwerpunkte setzen, Ziele und Maßnahmen definieren und darauf dann Zeit und Energie verwenden.

Verehrte Damen und Herren, der liebenswerte Peter Ustinov sagte einmal: „mit Propheten unterhält man sich am besten 3 Jahre später“. Wir brauchen hier sicherlich keine Propheten zu sein um zu erkennen, was auf uns zukommt. Aber das Bewusstsein muss geschärft werden, dann können wir uns wieder optimistisch an das Lösen unserer Aufgaben machen.

Herzlichen Dank

 
 
 

 

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