Haushalt 2012 der Stadt Böblingen

Veröffentlicht am 20.12.2011 in Kommunalpolitik

Haushaltsrede Herbert Protze, SPD-Fraktion am 14.12.2011

Böblingen bewegt sich!
So konnte man in diesen Tagen in der Presse nachlesen.
Der Artikel bezog sich auf die Eröffnung der Bewegungskindertagesstätte der SV-Böblingen. In der Tat ein tolles Projekt, beliebt und sofort ausgebucht. Die umgesetzte Erkenntnis, dass Bewegung ein wesentlicher Teil der pädagogischen Konzeption unserer Kindertagesstätten sein muss. Letztendlich ein gutes Stück Stadtmarketing. Die Steigerung der Attraktivität des Standorts für Einwohner, Unternehmen und deren Beschäftigte.
Aber auch sonst bewegt sich Böblingen. Man sieht es an den angerückten Baggern in der Unterstadt. Verlegung des alten Busbahnhofs, Neubebauung mit dem Böblingen Center, dem ungeduldig erwartetem neuen Einkaufszentrum, dem neuen Kreisverkehr am Mömax, dem Neubau der Kreissparkasse und der anschließenden Umgestaltung der Bahnhofstrasse zur Fußgängerzone.
Ja, da bewegt sich einiges, das koordiniert werden muss. Wir müssen aufpassen, dass Anlieger, Geschäfte und Verkehr nicht unter die Räder kommen.
Aktives Baustellenmarketing ist hier gefragt, aber nicht mit teuren Fremdfirmen und schönen Powerpoint-Präsentationen sondern mit einem koordinierten Vorgehen von Bauamt und Stadtmarketing und mit einer Verwaltungsspitze, die mit den Betroffenen spricht und sie zu Beteiligten macht. Vororttermine und vielleicht ein kleiner Ausguck mit Schautafeln die erklären, was geht.

Auch in unserem städtischen Haushalt ist viel Bewegung drin. Ein Rauf und Runter der Gewerbesteuer, runter bei den Rücklagen und perspektivisch rauf bei den Schulden. Aber doch meist die gleiche Übung: im Ist kommt es besser, als geplant. Diese Übung wird doch langsam langweilig. Klar kann man das als Gemeinderat sportlich nehmen und sich freuen, wenn es besser kommt, wie befürchtet. Soll man sich aber darauf einstellen?

Auch in diesem Jahr haben sich die Fraktionen in ihren Haushaltsanträgen zurück gehalten, wenn auch nicht quantitativ – Qualität definiert ohnehin jeder anders. Unter dem Strich kosten unsere Anträge wenig – manche helfen sogar sparen.
Der Verwaltung kann man unterstellen, dass sie davon ausgeht, dass es ohnehin wieder besser kommt, als geplant. Wie sonst kann man sich eine Beantragung von 43 neuen Stellen im vorgelegten Stellenplan 2012 erklären. Rund 2 Millionen mehr Personalkosten in nur einem Jahr, nachdem man uns zuvor darauf einschwört, dass es nach 2012 heißt, Schulden in Höhe von 36 Mio. € zu machen und im Übrigen die Zuführung zum Vermögenshaushalt nicht ausreicht, wir also ein strukturelles Haushaltsproblem haben. Da passt etwas nicht zusammen, da wächst auch nichts zusammen, weil es nicht zusammen gehört.
Über jede einzelne Stelle kann man trefflich streiten, jede einzelne kann in ihrer Notwendigkeit begründet werden. Am wenigsten, d.h. gar nicht, ist an den neuen Stellen im Bereich Kindertagestätten rum zu meckern. Hier stützt uns ohnehin der massiv gestiegene Zuschuss des Landes Baden-Württemberg. Grün-Rot verdreifacht nächstes Jahr die Zuschüsse an die Kommunen und übernimmt ab 2014 68% der Betriebskosten. Was von der alten Landesregierung jahrelang gefordert wurde, hat die neue in wenigen Wochen umgesetzt! Der kleine Schönheitsfehler mit der Erhöhung der Grunderwerbsteuer auf 5% bleibt – aber immerhin, keine neuen Sozialleistungen auf Pump!
Zurück zum Stellenplan: die Kritik zieht sich durch alle Fraktionen – doch wie damit umgehen. Mit der üblichen Vorgehensweise: ein bisschen Rummeckern und dann durchwinken kommen wir hier nicht weiter. Der Verwaltungsausschuss hat in seiner gestrigen Sondersitzung versucht eine Lösung zu finden. Zwar konnte man sich meiner Idee einer Zielvereinbarung zum Wiederabbau neu geschaffener Stellen anschließen, den Beschluss die 43 neuen Stellen nur um 5 zu reduzieren, kann die SPD nicht mittragen. Gerne ist die SPD bereit, im Rahmen der Aufgabenkritik über alles zu reden –die Haushaltsdisziplin muss unseres Erachtens vorgehen.
Eines ist aber sicher: die Aussage von Ihnen Herr Oberbürgermeister in den Vorberatungen „dann beschließen Sie doch, was Sie wollen“ ist sicher nicht zweckdienlich.
Es ist Ihre Aufgabe, dem Gemeinderat Ihre Planungen näher zu bringen, ihn mitzunehmen und von Ihren Vorhaben zu überzeugen.
Der Stellenplan ist ein bloßes Aufzählen von zusätzlichen Wunschstellen und lässt zumindest im ersten Anlauf jedes Gewichten oder Priorisieren vermissen. Er lässt die erwarteten Einsparungen, die sich aus den eingeleiteten Organisationsuntersuchungen ergeben werden, einfach unberücksichtigt. Hinzu kommt das schlichtweg unsaubere Umgehen mit zwar stellen- aber nicht kostenneutralen Stellen, was den aufmerksamen Gemeinderat zusätzlich in Habachtstellung bringen muss.
Ähnlich verhält es sich im Vermögensplan bzw. in der mittelfristigen Finanzplanung. Nachdem uns immer wieder das Schreckgespenst des 260 Millionen schweren Sanierungsstaus an die Wand gemalt wurde, konnte man eigentlich erwarten, dass wir eine entsprechende Strategie, einen Masterplan oder ähnliches vorgelegt bekommen. Stattdessen geht es in den Haushaltsberatungen weiter zu wie beim „Heiteren Berufe-Raten“ und die Gemeinderäte müssen fragen: worum handelt es hier, was steckt hinter dieser Ausgabe, gehe ich recht in der Annahme? Bei kleineren Ausgaben mag diese Vorgehensweise OK sein, aber was, wenn es in die Millionen geht? Und wo bleibt die klare Prioritätensetzung?

Was muss sich also ändern: die Diskussion muss an einem früheren Punkt des Entscheidungsprozesses beginnen. Gemäß unserem Leitbild müssen wir uns fragen, wo wir uns in den nächsten Jahren hin entwickeln wollen, welche Infrastruktur, welche Leistungen und welche Standards wir anbieten wollen. Den abgeleiteten Plänen werden die Ressourcen sowohl finanziell als auch personell zugeordnet und in der Priorisierung aufeinander abgestimmt. Der Gemeinderat muss im Sinne eines Aufsichtsrats die Marschrichtung vorgeben und den Rahmen abstecken.
Heute laufen wir hinter allem her, auch den Informationen. Dieses Phänomen erleben wir auch bei vielen so genannten Bürgerbeteiligungen. Die frühzeitige Information und die Einbeziehung erfolgt oft einfach zu spät und verteuert und verkompliziert so den Prozess enorm.

Die angestrebten Projekte zur Verbesserung der Abläufe in der Stadtverwaltung und die Positionierung Böblingens als Marke deuten an, dass Sie Herr Oberbürgermeister nicht nur Taktik sondern auch Strategie können. Letzteres ist wichtiger. Und wenn ihnen im Gemeinderat jemand widerspricht und andere Meinungen vertritt, ist das keine Bösartigkeit, sondern liegt das mitunter daran, dass andere auch mitentscheiden wollen oder daran, dass andere letztendlich am Produkt mitverantwortlich sind und dies beim Bürger vertreten müssen. Manchmal riecht es einfach zu sehr nach „Hobby vom Chef“ – oder?

Letztendlich kommt es auf eine gute Teamleistung an – und da sind wir in Böblingen gut aufgestellt. Eine hervorragende, engagierte Mann- und Frauschaft, die sich oft über das erforderliche Maß hinweg einbringt. Viele, die monatelang an der Belastungsgrenze arbeiten. Ihnen gilt besonderer Dank und der Hinweis, dass wir von der SPD-Fraktion zwar den Stellenplan in seiner Gänze kritisieren, nicht aber den konkreten Einzelfall in seiner Problematik übersehen.
Denn der SPD-Fraktion liegt viel an guter Arbeit, an deren Anerkennung und an deren angemessener Entlohnung. Deshalb und auch weil mittlerweile ein gewisses Umdenken eingesetzt hat, haben wir erneut einen Antrag eingebracht mit der Beschlussvorlage, städtische Aufträge nur noch an Unternehmen oder deren Subunternehmen zu vergeben, die nachweisen können, dass sie ihren Mitarbeitern Tariflohn, bzw. mindestens 8,50 € bezahlen. Die Stadt Böblingen darf weder prekäre Arbeitsverhältnisse noch Lohndumping fördern.
Gerade bei der Fremdreinigung haben wir gesehen, dass nicht alles Gold ist, was glänzt. Vermeintliche Einsparungen, für die wir auch noch horrende Beraterhonorare zahlen mussten, gingen so zu Lasten der Qualität, dass wir jetzt eigene Stellen schaffen müssen, die die Fremdreinigung kontrollieren. Schilda lässt grüßen!
Sinnvoll sind neue Stellen auch da, wo sie perspektivisch Geld einbringen, So die Stellen, welche die SPD-Fraktion für die Stadtwerke fordert: in unserem Haushaltsantrag nur Schaffung einer zusätzlichen Geschäftsführerstelle und der Wiederbesetzung der Stelle des Technischen Leiters, wollen wir die Stadtwerke professionell aufstellen und auf dem Weg des Ausbaus zu Vollstadtwerken stärken. Berater sind gut und wichtig, aber ab einem bestimmten Punkt muss das eigene Personal aufgebaut werden und das Handeln übernehmen.
Dass wir von Vollstadtwerken eine deutlichen Beitrag zur finanziellen Verbesserung des städtischen Haushalts und eine Verknüpfung von ökologischen Zielen mit ökonomischen erwarten können, ist ja mittlerweile breiter Konsens. Im 3. Jahr der Beratung und Entscheidungsfindung müssen wir nun endlich zu Potte kommen. Das laufende Verfahren verbietet zu tief gehende Aussagen. Ein Blick über den kommenden Deckel lässt aber zumindest eine Aussage zu: eine Partnerschaft auf Augenhöhe ist uns lieber wie die Behandlung als Juniorpartner.

Als dritten wesentlichen Antrag beantragt die SPD einen Weg zu finden, die alljährlichen Haushaltsausgabereste – im Schnitt der letzten Jahre durchschnittlich 10 Mio. € - zu reduzieren. Dies dient der Haushaltsklarheit und der Haushaltswahrheit. Zu hohe Ausgabereste deuten auf zu hohe Budgets hin und führen dazu, dass Geld für andere Maßnahmen nicht zur Verfügung stehen.

In den Vereinigten Staaten von Amerika lebt mittlerweile jeder 6. Bürger von Lebensmittelmarken im Wert von 4,5 US$ täglich - das sind 3,35 €. Die Geschichte lehrt, dass mit einem gewissen time-lag Europa in der Entwicklung den Amerikanern nachfolgt. Was also tun, um dies nicht zu übernehmen? Ganz einfach: nicht über die Verhältnisse leben. Mit einer Verschuldungsquote von 83% vom Brutto-Inlandsprodukt brauchen wir Deutschen uns nicht zu rühmen, sind wir doch schlechter als Spanien und nicht viel besser als Portugal. Man merkt bei uns nur nicht soviel, weil die Wirtschaft auch in Zeiten der großen Finanzkrise, gestützt durch die Maßnahmen der großen Koalition gut lief. Aber wehe, die Wirtschaft gerät ins stottern.
Wir im Böblingen haben es anscheinend nicht kapiert, dass morgen schnell heute sein kann. Der Gewinneinbruch bei HP mit 90% in diesem Jahr sollte uns eigentlich Warnung genug sein! Aber sind wir nicht alle ein bisschen Griechenland?
Dabei hat die Haushaltspräsentation so gut begonnen: zunächst die Ankündigung höherer Steuereinnahmen, dann der Appell, die Bodenhaftung nicht zu verlieren, weil die Zuführung vom Verwaltungs- an den Vermögenshaushalt nicht ausreicht und darüber hinaus in den nächsten 3 Jahren Schulden in Höhe von 36 Mio. € gemacht werden müssen.
Dann der Stellenplan. An dieser Stelle hätte ich von unserem Finanzbürgermeister – von Ihnen, Herr Schwarz- einen Aufschrei hören wollen. Leider ist er ausgeblieben.
Die Verwaltung mit Ihnen, Herr Lützner, an der Spitze, wollte es dem Gemeinderat überlassen, zu streichen. Nur keinem Weh tun, dann kann man ja später auf den Gemeinderat schimpfen.
Der Gemeinderat hat die Arbeit übernommen, die eigentlich die Verwaltung leisten sollte. Wir Gemeinderäte sollten nur über Budgets entscheiden und politisch bestimmen, was wir uns leisten können und wollen. Das nächste Mal muss es anders laufen: klare Vorgaben, klare Linie, klare Prioritäten und das ganze schon im Vorfeld der Haushaltsberatungen.
Der Leitsatz aus meiner letztjährigen Haushaltsrede lautete: „structure follows strategie“. Ich würde ihn gerne wiederholen.

Ich denke, dass die Bürgerinnen und Bürger in Bezug auf das Thema Verschuldung noch nie so sensibilisiert waren, wie heute. Die Bereitschaft, auf bestimmte Dinge zu verzichten, im Hinblick darauf, auch künftig ruhig schlafen zu können und der Nachfolgegeneration keine unlösbaren Probleme zu hinterlassen, war noch selten so ausgeprägt. Warum sollen gerade wir in Böblingen, die wir in jahrelanger Kleinarbeit gespart und uns wirtschaftlich aufgestellt haben, den Pfad der Tugend verlassen.

Böblingen bewegt sich nach wie vor auf einem hohen Niveau.
Wenn auch das Geld für Investitionen knapper wird, wenn bestimmte Dienste mal länger dauern oder Freiwilligkeitsleistungen infrage gestellt werden müssen, bleibt Böblingen in seiner Leistungskraft und seiner Infrastruktur spitze.

Bewegen hat auch viel mit inneren Werten zu tun: Das bürgerschaftliche Engagement, die Vielfältigkeit der Vereine, zahllose Menschen die sich kulturell und sozial engagieren – das zählt – manchmal mehr, als eine Zahl.

Der Titel des letzten Buches von Georg Kreisler, das 2011 in seinem Todesjahr neu erschien, lautet: Wien, die einzige Stadt der Welt, in der ich geboren wurde. Wenn die Böblingerinnen und Böblinger ihrer Stadt solch eine wunderbare Hommage einmal zuteil werden lassen, haben wir gewonnen.

Herzlichen Dank

 
 
 

 

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